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Auslieferungsverfahren

Stellen Sie sich vor, Sie werden während einer Urlaubsreise von Schweden nach Italien in Deutschland verhaftet, ohne dass Sie jemals in Deutschland eine Straftat begangen haben, und ohne dass in Deutschland jemals ein Strafprozess gegen Sie geführt worden ist bzw. ein deutscher Richter einen Haftbefehl gegen Sie erlassen hat.

Sie meinen das kann nicht sein? Weit gefehlt!

Ein brisanter Teilbereich der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen ist das Auslieferungsverfahren. Es dient dazu, einen mutmaßlichen Straftäter der nationalen Gerichtsbarkeit des ersuchenden Staates zuzuführen, wozu es seiner körperlichen Überstellung aus dem ersuchten Staat bedarf.

Das Auslieferungsverfahren entsteht, z.B indem ein ausländischer Staat mittels förmlichen Ersuchens um die Auslieferung einer bestimmten Person zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung ersucht oder der ausländische Staat gegen die Person einen internationalen Haftbefehl erlassen hat. Aber auch das Vorliegen eines Europäischen Haftbefehls oder einer Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) genügt aufgrund des seit dem 02.08.2006 in Kraft getretenen EuHbfG zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls.
Wird diese Person dann in Deutschland aufgegriffen, so kommt das Auslieferungsverfahren in Gang.

Dieses Auslieferungsverfahren vollzieht sich nach den Regelungen der §§ 2 bis 42 IRG, soweit es den vertragslosen Auslieferungsverkehr betrifft und im Achten Teil des IRG keine Sonderregelungen getroffen worden sind. Zwischen der Bundesrepublik und Australien, Kanada, Jugoslawien und den USA gelten besondere Regelungen (Übereinkommen).
Innerhalb Europas und im Verhältnis zu Israel gilt das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 iVm dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 sowie hierzu ergänzend getroffene (verschiedene) bilaterale Zusatzverträge (Italien, Niederlande, Österreich, Schweiz, Tschechische Republik und Polen).
Hinzu kommt noch das Schengener Durchführungsübereinkommen und das neu geschaffene EU-Übereinkommen zum Auslieferungsverfahren (EU-AuslÜbk) und seiner Vereinfachung (EU-VereinfAuslÜbk).

Für den Betroffenen ist die Situation nicht nur aufgrund der Sprachschwierigkeiten sondern auch aufgrund der komplizierten Gesetzeslage äußerst belastend.

Das Oberlandesgericht ist in Auslieferungsverfahren das zuständige Gericht. Es entscheidet nach § 32 IRG über die Auslieferung des Betroffenen durch Beschluss (gerichtliches Zulässigkeitsverfahren).

Dem gerichtlichen Zulässigkeitsverfahren folgt das Bewilligungsverfahren. Die Zuständigkeit liegt hier beim Justizministerium und ist ein reines Verwaltungsverfahren.
Ihre beabsichtigte Bewilligung muss die Behörde nach dem neu eingeführten „Vorabentscheidungsverfahren“ begründen und dem OLG vorlegen ( §79 II 2, 3 IRG). Dieses hat neben der Zulässigkeit der Auslieferung auch hierüber zu befinden. Bestehen an einer umfassenden und rechtsfehlerfreien Abwägung keine Bedenken, schließt sich in einem zweiten Schritt die endgültige Entscheidung der Bewilligungsbehörde an.

Der Betroffene sollte sich in dieser Situation eine Grundsätzliche Frage stellen:

„Möchte ich so schnell wie möglich eine Prüfung der Sache (vorgeworfene Straftat) selbst?
oder
Möchte ich die Auslieferung in den ersuchenden Staat vermeiden?

Von der Beantwortung dieser Fragen ist die Strategie der Verteidigung in Auslieferungsverfahren abhängig.

Der Betroffene muss sich vor Augen führen, dass das deutsche Gericht im förmlichen Auslieferungsverfahren „nur“ prüft, ob der ersuchende Staat die Begehung einer auslieferungsfähigen Straftat schlüssig behauptet!

Sind die Auslieferungsunterlagen evtl. unvollständig oder besteht weiterer Aufklärungsbedarf, so kann dem ersuchenden Staat deren Ergänzung aufgegeben werden, Art.13 EuAlÜbk. Auch ist dem Betroffenen vor einer Entscheidung des OLG gemäß § 28 IRG rechtliches Gehör zu gewähren.

Das OLG prüft jedoch nicht, ob der Betroffene tatsächlich Täter oder Teilnehmer der genannten Straftat ist !!
Das OLG muss „lediglich“ die materiellen Auslieferungsvoraussetzungen prüfen. Sollte sich der Betroffene dafür entscheiden, alles zu tun bzw. vorzutragen, um nicht ausgeliefert zu werden, so eröffnet sich hier (insb. bei möglichen Auslieferungshindernissen) dem Strafverteidiger ein breites Betätigungsfeld.

Auslieferungshindernisse können sein:

  1. Art. 16 Abs. 2 GG, grds. keine Auslieferung eigener Staatsangehöriger.
  2. § 7 IRG, bei Taten, denen ausschließlich eine Verletzung militärischer Pflichten zugrunde liegt.
  3. Art. 6 EU-AuslÜbk, strafbare Handlungen aus dem Bereich des Steuer-, Devisen-, Zoll- und Abgabenrechts.
  4. Art. 6 Abs.1 IRG, das Auslieferungshindernis des politischen Delikts.
  5. Art. 6 Abs.2 IRG; § 3 Abs.2 EUAlÜbk, wenn die wohlbegründete Annahme besteht, dass die verfolgte Person wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Staatsangehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Anschauungen verfolgt, bestraft oder benachteiligt werden würde (hier ist insb. Art.16a Abs.1 GG Auslieferung Asylberechtigter) zu beachten.
  6. Art. 102 und Art. 2 Abs. 2 S.1 GG; § 8 IRG, bei konkret drohender Todesstrafe.
  7. Art. 3 EMRK, wenn aufgrund begründeter Anhaltspunkte zu befürchten ist, dass Folter oder unmenschliche Behandlung während des dortigen Strafverfahren oder im Strafvollzug drohen.
  8. Rückwirkungs- und Strafschärfungsverbot
  9. Konkurrierende Strafgerichtsbarkeit kann der Auslieferung entgegenstehen, wenn sich auf die Straftat, für die die Auslieferung ersucht wird, das eigene Strafrecht erstreckt. Zu beachten ist hier jedoch, dass der ersuchte Staat u.U. die verfolgte Person (für eine andere Straftat) auch vorübergehend ausliefern kann, Art.19 EuAlÜbk.
  10. Die Auslieferung ist ausnahmslos unzulässig, wenn die Tat bereits nach dem Recht des ersuchenden Staates verjährt ist. Die Frage, ob die Auslieferung noch möglich ist, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchten Staates möglich ist, ist höchst umstritten.
  11. Art. 3, 6 EMRK iVm Art. 25 GG, wenn eine Verhandlung und Verurteilung in Abwesenheit des Verfolgten erfolgt, und hierbei dessen Anspruch auf rechtliches Gehör und eine angemessene Verteidigung verletzt worden ist.
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